1 Einleitung

1.1 Kreisgrabenanlagen – Monumentalbauten der Mittleren Jungsteinzeit (ca. 4850/4750–4550/4500 v.Chr.

In den 1980er Jahren konnte mit Hilfe von archäologischen Prospektionsmethoden (v.a. Luftbildauswertung und anschließender geomagnetischer Prospektion) eine Gruppe großer jungsteinzeitlicher Bauwerke identifiziert und beschrieben werden [Nikitsch 1985Trnka 1991Becker 1990Doneus et al. 2001Neubauer 2001]. Typischerweise bestehen sie aus bis zu vier zumindest annähernd kreisförmigen konzentrischen Gräben von 40 bis 300m Durchmesser. Die ursprünglich 6-10m breiten Gräben zeigen ein nach unten spitz zulaufendes V-Profil und wurden in sandigen oder lößhaltigen Boden bis zu 6m tief eingegraben. Schmale Grabenunterbrechungen dienten als "Erdbrücken", um das Innere zu erreichen, das noch von bis zu 5 Palisadenringen (bis auf die Eingänge) blickdicht verschlossen war [Daim and Neubauer 2005]. Bis jetzt wurden etwa 140 dieser ältesten Monumentalbauten der frühen Ackerbaukulturen gefunden, verstreut über einen weiten Bereich Mitteleuropas [Trnka 2005]. Die Verbreitung erstreckt sich über Ungarn [Raczky et al. 2005; Zalai-Gáal 1990], die Slowakei [Kuzma 2005], Österreich [Neubauer and Melichar 2005; Neubauer 2007], Tschechien [Kovárník 2003; Hašek and Kovárník 1999; Podborský et al. 1999; Pavlů 1982], Bayern [Becker 19961990Schmotz 2007] bis Ostdeutschland [Stäuble 2007Bartels et al. 2003Bertemes and Northe 2007Bertemes et al. 2004]. Diese hölzernen Monumente bilden ein erstes pan-europäisches Phänomen, das die aus bisherigen archäologischen Funden abgeleiteten Kulturgrenzen überspannt [Neubauer and Trnka 2005; Trnka 2005] (Fig. 1).


KGA distribution in Central Europe
Figure 1: Verteilung der gesichert mittelneolithischen Kreisgrabenanlagen in Mitteleuropa sowie der Kulturgruppen (ca. 4850/4750-4550/4500 BC), wie sie aus Fundmaterial beschrieben und definiert wurden.

Die ersten Zusammenstellungen aller bekannter Monumente veröffentlichten Petrasch [1990] und Trnka [1991], der auch den Term: mittelneolithische Kreisgrabenanlagen für diesen Bauwerkstyp vorschlug. Die größte Dichte dieser faszinierenden Monumente findet sich in Ostösterreich, v.a. Niederösterreich (Fig. 2 aus Neubauer [2007]). Über 40 Kreisgrabenanlagen (KGAs) sind bisher im Schwerpunksgebiet dieses Projektes bekannt. Die KGAs in Ostösterreich sind normalerweise Teil grüßerer Siedlungen und umfassen jeweils eine Fläche von 0.5-1.2ha. Aus 14C Daten ausgegrabenen Knochenmaterials läßt sich schließen, daß alle KGAs innerhalb des kurzen Zeitraums zwischen 4850/4750–4550/4500 v.Chr. errichtet wurden [Stadler et al. 2006]. Diese kurze Nutzungsdauer scheint auch auf die anderen KGAs in Mitteleuropa zuzutreffen.


Magnetogram Steinabrunn Interpretation Steinabrunn Winter Solstice Steinabrunn
(a) (b) (c)

Figure 2: Kreisgrabenanlage (KGA) Steinabrunn in Niederösterreich: (a) Magnetogramm [Eder-Hinterleitner et al. 1999] — (b) Archäologische Interpretationskarte — (c) Ein simulierter Blick aus der Mitte durch das Südosttor entlang eines radialen Verbindungsgrabens, der auf einen Hügel weist, hinter dem die Sonne Anfang November bzw. Anfang Februar aufgeht und so Anfang bzw. Ende eines "Winters" markiert, der so um die Wintersonnwende zentriert definiert werden kann.


Der Zweck dieser außergewöhnlichen Monumentalbauten, die unter hohem Arbeitsaufwand von den frühen Ackerbauern errichtet wurden, ist seit Jahrzehnten Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion. Interpretationsmodelle beinhalten sozio-kulturelle oder sozio-rituelle Zentren [Neubauer 2007, 222-236; Podborský et al. 1999], Befestigungsanlagen [Nemejcová-Pavúková 1995], Nutzung als Marktplätze [Stäuble 2002, 307] oder Schutzfunktion für Mensch und Vieh [Pertelwieser 2001], aber auch funktionale Erklärungen als Kalenderbauwerke, astronomische Observatorien oder Sonnentempel [Weber 1986; Becker 1996; Bertemes and Schlosser 2004; Zotti 2008; Schier 2008]. Nach einer anfangs sehr kontroversiellen Diskussionsphase besteht derzeit ein Trend zu multifunktionellen Interpretationsmodellen [Neugebauer-Maresch 1995, 87; Stäuble 2007, 180; Neubauer 2007,217-236; Petrasch 2001]. Da die Monumente nicht in strategisch günstigen Lagen errichtet wurden, und aufgrund der oft regelmäßig angeordneten Zugänge, scheint die Interpretation als Befestigungsanlage unwahrscheinlich [Trnka 1991, 317]. Auch scheint keine Nutzung als ausdrücklich markierter Siedlungsraum möglich, da mit Ausnahme der Palisaden und wenigen Einzelpfosten keinerlei Spuren zeitgleicher Gebäude innerhalb der Gräben gefunden wurden.

Die Gräben und Palisaden bilden einen abgegrenzen Raum und trennen "innen" und "außen". Die schmalen Zugänge erlauben eine Zugangsbeschränkung in einen Bereich, der von außen nicht einsehbar ist [Gibson 2005]. Dieses Element des beschränkten Zugangs dürfte aber nichts mit Befestigung zu tun haben, sondern eher rituelle Gründe haben [Stäuble 2007; Neubauer 2007; Gibson 2005], die im sozialen Kontext der frühen Ackerbaukulturen betrachtet werden müssen.

1.2 Astronomische Aspekte der Kreisgrabenanlagen

Im Gegensatz zu den viel jüngeren Megalithbauten wie z.B. Stonehenge [Hawkins 1973; Thom 1967; Thom and Thom 1978] haben sich die hölzernen KGAs in der Landschaft Mitteleuropas nicht erhalten. Sobald die ersten Vermessungspläne verfügbar waren und Tore identifiziert werden konnten, wurden KGAs aber Objekte archäo-astronomischer Untersuchungen. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf der Orientierung der Tore, also auf der Frage, nach welcher Himmelsrichtung sich für einen in der Mitte der Anlage stehenden Beobachter die Toröffnungen erstreckten [Weber 1986; Becker 1996; Karlovský 1999; Karlovský and Pavúk 2002]. Rituelle Himmelsbeobachtung wurde vor allem von Becker [1996] vorgeschlagen, der seine Analyse auf Magnetogramme stützte, nach denen die Eingänge von KGAs in Bayern in Richtung der Auf- bzw. Untergangspunkte der Sonne an den Sonnwenden liegen.

Im Zuge der Vorbereitungen der Niederösterreichischen Landesausstellung über Kreisgrabenanlagen im Jahre 2005 [Daim and Neubauer 2005] wurden die behaupteten astronomischen Aspekte der KGAs auch bei den niederösterreichischen Anlagen untersucht [Zotti forthcoming, 2005, 2008; Kastowski et al. 2005]. Diese vorläufige Untersuchung basierte auf Ergebnissen systematischer archäologischer Arbeit: Luftbildauswertung, Feldbegehung, Geomagnetische Prospektion und Grabungen [Neubauer 2007]. Im Gegensatz zu den vorherigen theoretischen Überlegungen basierte unsere Untersuchung auf archäologischen Interpretationskarten und Rekonstruktionen aus Magnetik-Modellen [Eder-Hinterleitner and Neubauer 2001], kombiniert mit digitalen Geländemodellen und Luftbildauswertung [Neubauer 2001; Doneuset al. 2005]. Somit wurde es möglich, auch den Horizont in die Untersuchung miteinzubeziehen und Virtual-Reality-Modelle der Anlagen zu erstellen [Gervautz and Neubauer 2005]. Aus diesen Modellen wurden Geländepanoramen für astronomische Simulationssoftware erstellt, mit deren Hilfe die Aspekte astronomischer Nutzung untersucht und vor allem eindrucksvoll demonstriert werden kann [Zotti 2008].

Gemäß dieser ersten Untersuchungen an ausgewählten Monumenten in Niederösterreich konnten sonnenbezogene Orientierungslinien bei einigen KGAs mit größerer Sicherheit als bisher zugeordnet werden. Eine erste — vorläufige — Untersuchung auch von sternbezogenen Orientierungen läßt vielversprechende Hinweise auf systematische Beobachtung bestimmter heller bzw. auffälliger Sterne zu. Diese vorläufige Arbeit verspricht bemerkenswerte zukünftige Erkenntnisse zu den astronomischen Aspekten der KGAs, die anhand einer umfassenderen und gründlicheren archäoastronomischen Analyse von in gleicher Art und guter, vergleichbarer Qualität vorliegenden Bauwerksdaten durchgeführt werden muß. Eine derartige Datengrundlage gibt es derzeit nur für die KGAs Niederösterreichs und umfaßt georefernzierte Luft- und Magnetik-Bilder, digitale Geländemodelle, archäologische Interpretationskarten und Grabungsergebnisse [Neubauer and Melichar 2005].