2 Projektinhalt und Ziele

2.1 Ziel und Objekte der Archäo-Astronomie

Die Archäoastronomie sucht nach Hinweisen auf astronomische Kenntnisse und Aktivitäten alter Kulturen aufgrund von archäologischen Spuren aus schriftloser Zeit. Himmelsbeobachtungen können vielfältig motiviert sein, etwa zur Zeitmessung, Kalenderführung, damit verbunden zur Identifizierung für Kulthandlungen wichtiger Termine, oder aber einfach nur aus ästhetischen Gründen. Himmlische Muster und Figuren haben wohl die Phantasie bereits der Urmenschen angeregt, und spätestens seit der Antike sind Himmelsfiguren und Mythen und Legenden eng miteinander verknüpft. Der täglich leicht verschobene, jährlich aber wiederkehrende Anblick des nächtlichen Fixsternhimmels war wohl jedem naturnah lebenden Menschen vertraut.

Die offensichtlichsten und markantesten Hinweise auf astronomische Beobachtung geben Funde im Zusammenhang mit dem Jahreslauf der Sonne (z.B. eindeutige Sonnwendmarkierungen), mit der Monatsbewegung des Mondes (z.B. Markierungen von 27-30 Kerben oder Punkten), oder sogar dem zumindest seit der Antike bekannten Meton'schen Zyklus, einer 19-jährigen praktisch taggenauen Wiederkehr seiner Phasen im Sonnenjahr, wobei der Mond in dieser Zeit auch extreme nördliche und südliche Stellungen am Horizont erreichen kann.

Planeten spielen in archäoastronomischen Überlegungen hingegen selten eine Rolle, da sie sich am Himmel in einem breiten Deklinationsbereich bewegen können und somit allfällige Markierungen von Beobachtungsrichtungen prinzipiell nicht zuzuordnen sind. Auch bieten sie - vielleicht mit Ausnahme der 8-jährigen taggenauen Wiederkehr der Venus - kaum Anhaltspunkte zur Zeitbestimmung oder Kalenderführung.

Ein typisches Forschungsfeld ist die Orientierung von Kultbauten, z.B. von Tempeln. Dazu zählen die Pyramiden von Ägypten, der Tempel von Persepolis [Schlosser and Cierny 1996, p.109ff], sowie Newgrange und Stonehenge als bekannteste steinzeitliche Kultbauwerke.

Unsere Jahreszeiten werden mit Hilfe der Tag- und Nachtgleichen (Äquinoktien) und Sonnwenden (Solstitien) definiert, wobei die Sonne genau im Osten, bzw. an den äußersten nördlichen bzw. südlichsten Punkten aufgeht. Andere Kulturen definierten die Jahreszeiten so, daß diese Daten in der Mitte der Jahreszeiten liegen [Krupp 1994], woraus sich Begriffe wie "Mittsommer" für die Sommersonnwende ableiten. Insgesamt bietet so die Sonne acht kalendarische Schlüsseltermine mit fünf charakteristischen Tagesbahnen (Die Bahnen zu den Äquinoktialterminen sowie den Zwischenterminen wiederholen sich ja!), die mit Auf- und Untergängen zehn charakteristische Azimute (Himmelsrichtungen) am Horizont bilden, von denen sich zumindest eine bei Bauwerken wiederfinden sollte, wenn es als "sonnenorientiert" gelten soll. Prinzipiell kann natürlich jede bestimmte zwischen den Solstitien liegende Richtung ebenso eine Sonnenorientierung zu einem bestimmten Kalenderdatum sein. Zum Beispiel sind mittelalterliche Kirchen oft zum Sonnenaufgang am Tag des Kirchenpatrons (Patrozinium) orientiert, Sonnenauf- bzw. -untergang am Geburts- oder Todestag eines gottgleichen Herrschers könnte ebenfalls eine derartige Richtung vorschreiben, doch ohne schriftliche Beschreibung läßt sich eine derartige Richtung rein astronomisch nicht erklären.

Der Mond kann in ähnlicher Weise einen breiten Bereich des Himmels erreichen. Da seine Umlaufbahn gegenüber der scheinbaren Jahresbahn der Sonne (der Ekliptik) um etwa 5 Grade geneigt ist, kann er am Horizont sogar noch einen weiteren Bereich überstreichen. Thom und Thom [1978] fanden interessante Verbindungen der Orientierung von megalithischen Steinkreisen und -reihen in Großbritannien und der Bretagne mit mondbezogenen Azimuten, und Pavúk und Karlovský [2004] schlugen mondbezogene Orientierungen bei Kreisgrabenanlagen in der Slowakei vor.

Fixsterne bereiten in der Archäoastronomie mitunter gewisse Probleme. Anders als ihre Bezeichnung "Fixsterne" vermuten ließe, ändert sich die Position der Sterne im Laufe von Jahrhunderten und sogar Jahrtausenden relativ zum himmlischen Gradnetz sehr wohl, einerseits wegen der Präzession der Erdachse, andererseits wegen der tatsächlichen Eigenbewegung. Um nun beispielsweise Bauwerksorientierungen nach Sternen erkennen zu können, muß zumindest das ungefähre Alter des Bauwerks bekannt sein. Die Kreisgrabenanlagen sind praktisch alle aus demselben kurzen bekannten Zeitraum von nur etwa 300 Jahren, wodurch sich eine hervorragende, schon recht aussagekräftige Sammlung solcher Strukturen ergibt. Meeus [1998, Ch.21] beschreibt Algorithmen, um Katalogpositionen von Fixsternen auf andere Zeiträume (in begrenztem Ausmaß) umzurechnen.

2.2 Positionen am Himmel und am Horizont

Aus der geographischen Position des Beobachters, den Himmelskoordinaten eines Objekts auf der gedachten unendlich großen Himmelskugel sowie Datum und Uhrzeit der Beobachtung kann man das Azimut, also die Himmelsrichtung, und da speziell die Auf- und Untergangsrichtung berechnen, allerdings in einfachen Formeln nur auf dem mathematischen Horizont. [z.B. Meeus 1998].

Ein entscheidend wichtiges Problem aller archäoastronomischer Orientierungsstudien ist die Verfügbarkeit von Daten des Landschaftshorizonts. Die Berechnung von Auf- und Untergängen am mathematischen Horizont und Bestimmung allein daraus abgeleiteter Orientierungen ist so einfach wie sinnlos, da die Sonne und andere Objekte nur am wahren Landschaftshorizont beobachtet werden können, und somit jede darauf vermeintlich Bezug nehmende Bau-Orientierung den wahren Landschaftshorizont miteinbeziehen muß.

2.3 Phänomenologische Schlüsseldaten

An jedem Tag des Jahres geht ein bestimmter Stern etwa 4 Minuten früher auf bzw. unter als am Tag zuvor. Sterne um den für den Beobachter sichtbaren Himmelspol gehen nicht unter, sie sind in jeder klaren Nacht sichtbar und werden zirkumpolar genannt. Andere sind nur zu bestimmten Zeiten im Jahr sichtbar, während sie sonst der Sonne zu nahe stehen.

Der letzte Tag, an dem der Stern in der Abenddämmerung zu sehen ist, ist sein heliakischer Untergang. Hierbei wird der Stern in der abnehmenden Abenddämmerung kurz sichtbar, geht aber Augenblicke später im Horizontdunst dem Blick des Beobachters wieder verloren.

Nach einigen Wochen der Unbeobachtbarkeit wegen zu großer Sonnennähe erscheint der Stern am Morgen seines heliakischen Aufgangs: der Stern löst sich in der anbrechenden Morgendämmerung gerade aus dem Horizontdunst, wird aber Augenblicke später durch die heller werdende Morgendämmerung wieder überstrahlt. An jedem folgenden Tag wird der Stern nun wieder etwa 4 Minuten früher sichtbar. Es ist schon lange bekannt, daß heliakische Aufgänge von unterschiedlichen Völkern weltweit verwendet wurden, um bestimmte Termine im Jahr festzulegen [Krupp 1994], das bekannteste Beispiel ist wohl der heliakische Aufgang des Sterns Sirius, der in Ägypten als Ankünder der jährlichen Nilflut galt. Das exakte Datum ist natürlich auch abhängig vom Zustand der Atmosphäre, aber mittlere Daten können zumindest auf wenige Tage genau berechnet werden [Mucke 1993; Meeus 1997, ch.46; Schaefer 1985, 1987].

2.4 Archäoastronomische Hypothesen zu den Kreisgrabenanlagen

Derzeit gibt es drei Hypothesen zur astronomischen Orientierung und Nutzung der Kreisgrabenanlagen.

solar
Alle KGAs in Bayern wurden magnetisch vermessen, und zumindest etliche Tore wurden als sonnwendorientiert beschrieben [Becker 1996]. Kürzlich zeigten Bertemes und Schlosser [2004], daß auch die KGA Goseck einen Zugang zur Richtung des Sonnenaufgangs zur Wintersonnwende hatte.
lunar
Ganz im Kontrast dazu wurden KGAs in der Slowakei praktisch ausschließlich als mit Mondwenderichtungen in Bezug stehend beschrieben [Pavúk 1990199119921998Pavúk and Karlovský 2004].
stellar
Zotti [forthcoming] bot einen ersten Versuch einer statistischen Analyse der österreichischen KGAs, der solare, lunare, aber auch stellare Orientierungs- und Interpretationsmöglichkeiten umfaßte. Er fand Hinweise auf systematische, vielleicht rituell zu interpretierende Beobachtungen bestimmter Einzelsterne, die mit Kalender- und Kultfunktion belegt werden können.

Derartige Studien benötigen genaue Vermessung der archäologischen Befunde einerseits, sowie Kenntnis der astronomischen Abläufe und Gegebenheiten der untersuchten Zeit andererseits. Zusätzlich kann die Interpretation eines potentiellen Nutzens und Zwecks einer derartigen Beobachtung in Verbindung mit einer markanten Baulinie helfen, die wahren Beweggründe und Aspekte der praktischen Astronomie und des astronomischen Wissens der Nutzer der Anlagen zu finden.

2.5 Vorläufige Erkenntnisse

An prähistorischen Bauwerken lassen sich oft viele Richtungen finden, bei denen am Horizont irgendwann im Laufe der Geschichte ein Stern auf- oder untergegangen ist. Untersuchungen an einzelnen Bauwerken laufen daher wohl oft in die Gefahr der Über-Interpretation.

In der vorläufigen Studie [Zotti forthcoming] wurden alle plausiblen Orientierungen von Eingängen, radialen Verbindungsgräben und Palisadenlücken in einem speziell entwickelten Zirkular-Histogramm gesammelt und kombiniert mit einem Diagramm der Tagbögen der Sonne zu den 8 oben angeführten Schlüsseldaten, den 4 Mondwende-Richtungen und von hellen Einzelsternen. Das Histogramm (Fig. 3) zeigt viele Einzeleinträge für Eingangs- oder Grabenrichtungen, und auch Sterne, die dort auf- bzw. untergehen, wo diese Richtungen am (mathematischen) Horizont hinzeigen.

Nicht von jedem Zugang, und nicht von jeder Palisadenlücke kann eine beabsichtigte astronomische Orientierug angenommen werden. Auch sind etliche der untersuchten Richtungen wohl nur z.B. scheinbare Palisadengrenzen, wo also die heute nachweisbare Spur endet. Dennoch sollten in einer derartigen Zusammenstellung größere Anzahlen gleichartiger Richtungsmarkierungen sichtbar werden. Die in diesem Diagramm ebenfalls eingebrachte Gegenüberstellung mit Gestirnbahnen erlaubte dann unmittelbar die Zuordnung derartiger Häufungen zu konkreten Himmelsobjekten.

Unter den der Sonne zuzuordnenden Richtungen sind die auffälligsten Häufungen bei Azimut 127 (Sonnenaufgang zur Wintersonnwende) und südlich von 115 (Sonnenaufgang zu "Anfang Februar" bzw. "Anfang November"), wodurch Beginn, Mitte und Ende eines “Winters” markiert werden, der um die Wintersonnwende zentriert wird. Auf der Nordseite scheint von den entsprechenden Sommermarkierungen vor allem Beginn/Ende (Mai/August) vorzukommen, während zur Sommersonnwende kaum Tore gewiesen haben dürften.


Histogram diagram

Figure 3: Histogrammdarstellung aus Daten zu 27 Kreisgrabenanlagen. Der äußere Bereich stellt den Himmel dar und zeigt Tagesbahnen ausgewählter (meist heller) Sterne (schwarz), der Sonne zu Sonnwenden, Äquinoktien und den im Text beschriebenen Zwischenterminen (rot) sowie des Mondes zu den Mondwenden (grün). Im Zentralbereich zeigen nach innen gerichtete Linien mit ihrer Länge die Anzahl der gefundenen Orientierungslinien zur gegebenen Richtung. Durchgezogene Linien entsprechen Erdbrücken bzw. radialen Verbindungsgräben, punktierte Linien deuten (unsicherer) Palisadengrenzen an. Die Ellipsen markieren die bisher identifizierten Häufungen, die durchwegs solar und stellar sind. Bisher zeigte sich kein Mondbezug.


Neben den solaren Häufungen zeichneten sich aber noch andere Häufungen ab. Während zum Mond in den oft zitierten Mondwenderichtungen keine besondere Aufmerksamkeit zukam (grüne Bögen in Abb. 3), gibt es zwei starke Häufungen in den Azimuten 104–108 und 275–280. Diese Richtungen erreicht zwar auch die Sonne an terminlich nicht weiter auffälligen Tagen, aber es gibt auch einige Häufungen in den Nord- und Südbereichen am Horizont, wo die Sonne niemals stehen kann, weshalb hier Sternsichtungen vermutet wurden. Und tatsächlich gibt es für die erwähnten Richtungen auffällige Gestirne, die damals, um 4700 v.Chr., dort auf- bzw. untergingen: der bekannteste Sternhaufen des Himmels, die Plejaden, gingen auf, und der helle Stern Antares ging unter, und das praktisch gleichzeitig!

Weitere Untersuchungen ergaben, daß der heliakische Aufgang (s. 2.2) der Plejaden zur damaligen Epoche nur wenige Tage nach Frühlingsbeginn stattfand. Es sei daran erinnert, daß die Plejaden weltweit in Überlieferungen vieler Kulturen eine Rolle spielen, oft auch in Zusammenhang mit Jahreszeiten [Krupp 1994], obwohl ein Sternhaufen, der aus schwachen Einzelsternen besteht, nicht unterhalb seines Verlöschungspunktes von etwa aE = 4 beobachtet werden kann. Die gegenwärtig noch mangelhafte Erfassung des Horizonts an den Orten der ehemaligen KGAs steht einer Klärung der Frage, ob die Plejaden vielleicht doch sichtbar hinter einem erhöhten Landschaftshorizont (z.B. einer Hügelkette) aufgegangen sein können, noch im Wege.

Entlang der nördlichen und südlichen Bereiche am Horizont sind noch Richtungen angezeigt, die — falls astronomisch relevant — nur zu Auf- und Untergängen von Sternen weisen konnten. Die Schnittpunkte der Tagesbahnen mit den Horizonten sind hier besonders stark abhängig von lokalen Erhebungen, wodurch möglcherweise die Häufungen im Histogramm verbreitert werden. Außerdem gab es am Südhorizont etliche Sterne mit praktisch gleicher Deklination, was eine eindeutige Zuordnung bisher unmöglich machte.

Die bisherigen Arbeiten müssen erweitert und verbessert werden, sodaß alle gegenwärtigen Hypothesen zu den astronomischen Aspekten der Kreisgrabenanlagen entweder klar widerlegt oder aber weiter gefestigt werden können, und vielleicht auch neue Hypothesen zur praktischen Astronomie der Jungsteinzeit aufgestellt werden können.